Liegt die "Zukunft" in China?
In seiner Kolumne für NYT, schreibt Thomas Friedman Ende August 2008, "Obama is more right than he knows when he proclaims that this is “our” moment, this is “our” time. But it is our time to get back to work on the only home we have, our time for nation-building in America. I never want to tell my girls — and I’m sure Obama feels the same about his — that they have to go to China to see the future."
In der Tat war China in den letzten sieben Jahren auf sein wirtschaftliches Wachstum fokussiert, während die Vereinigten Staaten sich obsessiv auf den "Krieg gegen den Terror" konzentriert haben, wie Friedman feststellt. Ich denke jedoch, was er unter "moderner Infrastruktur" usw. versteht ist kaum ein hinreichendes Sinnbild für den Charakter des raschen Wandels in der Volksrepublik. Die darwinistische Befürchtung Friedmans, die USA könnten ökonomisch-technologisch ins Hintertreffen gelangen, scheint mir das Gegenbild des Gefühls vieler Chinesen zu sein, dass ihr Land "endlich" zu den strahlenden Nationen zählt, seine Rückständigkeit und die Geschichte der kolonialen Unterdrückung überwunden hat.
Diese Einschätzung bleibt jedoch zu sehr an der Oberfläche der überwältigenden neuen Architektur Pekings und Shanghais, die ihre Bewohner mehr blendet, als Ihnen Lebensraum zu bieten, den sie mit menschlicher Identität füllen könnten. Genau hierin besteht der Bruch, den Friedman mit seinem einseitigem Fortschrittsdenken nicht wahrnimmt (der allerdings wenig mit "destruction through excessive praise" zu tun hat). Der Modernisierungsprozess in China, der vor allem die Menschen in den tausenden urbanen Zentren, die in Folge des Zuzugs aus den Städten neu entstehen, betrifft, schafft gebrochene Identitäten und Lebensläufe. Oder, Fluchtbewegungen bei denjenigen Chinesinnen und Chinesen, die sich leisten können zu fliehen. So etwa wie ein Pekinger, den ich bei Bergsteigen in Yunnan kennen gelernt habe, der sich bewusst aus dem Moloch Peking verabschiedet hat, um im ruhigeren Kunming zu leben.
Was kann also unter der "Zukunft" oder besser dem "Fortschritt", den China möglicherweise inzwischen mehr repräsentiert als Amerika, verstanden werden? Jedenfalls gehen die Meinungen darüber in China selbst weit auseinander. Vielleicht ist es auch schwierig, die Frage aus europäischer Sicht mit einem derart kompetitiven Unterton wie Friedman dies tut zu erörtern, weil sich die Menschen in Europa schon lange daran gewöhnt haben, nicht im Land der Fortschrittsführerschaft zu wohnen. Den Preis den China bzw. seine Bevölkerung dafür zahlen muss, den Vereinigten Staaten den Ruf, fortschrittlichstes Land der Welt zu sein, abspenstig zu machen, ist jedenfalls hoch und ungleich verteilt. Lässt es sich im globalen Zukunftswettstreit nicht auch als Klassenzweiter angenehm leben?
Für die eine Diskussion der abgeänderten Übersetzungen des Artikels von Friedman in chinesischen Medien siehe CDT.
In der Tat war China in den letzten sieben Jahren auf sein wirtschaftliches Wachstum fokussiert, während die Vereinigten Staaten sich obsessiv auf den "Krieg gegen den Terror" konzentriert haben, wie Friedman feststellt. Ich denke jedoch, was er unter "moderner Infrastruktur" usw. versteht ist kaum ein hinreichendes Sinnbild für den Charakter des raschen Wandels in der Volksrepublik. Die darwinistische Befürchtung Friedmans, die USA könnten ökonomisch-technologisch ins Hintertreffen gelangen, scheint mir das Gegenbild des Gefühls vieler Chinesen zu sein, dass ihr Land "endlich" zu den strahlenden Nationen zählt, seine Rückständigkeit und die Geschichte der kolonialen Unterdrückung überwunden hat.
Diese Einschätzung bleibt jedoch zu sehr an der Oberfläche der überwältigenden neuen Architektur Pekings und Shanghais, die ihre Bewohner mehr blendet, als Ihnen Lebensraum zu bieten, den sie mit menschlicher Identität füllen könnten. Genau hierin besteht der Bruch, den Friedman mit seinem einseitigem Fortschrittsdenken nicht wahrnimmt (der allerdings wenig mit "destruction through excessive praise" zu tun hat). Der Modernisierungsprozess in China, der vor allem die Menschen in den tausenden urbanen Zentren, die in Folge des Zuzugs aus den Städten neu entstehen, betrifft, schafft gebrochene Identitäten und Lebensläufe. Oder, Fluchtbewegungen bei denjenigen Chinesinnen und Chinesen, die sich leisten können zu fliehen. So etwa wie ein Pekinger, den ich bei Bergsteigen in Yunnan kennen gelernt habe, der sich bewusst aus dem Moloch Peking verabschiedet hat, um im ruhigeren Kunming zu leben.
Was kann also unter der "Zukunft" oder besser dem "Fortschritt", den China möglicherweise inzwischen mehr repräsentiert als Amerika, verstanden werden? Jedenfalls gehen die Meinungen darüber in China selbst weit auseinander. Vielleicht ist es auch schwierig, die Frage aus europäischer Sicht mit einem derart kompetitiven Unterton wie Friedman dies tut zu erörtern, weil sich die Menschen in Europa schon lange daran gewöhnt haben, nicht im Land der Fortschrittsführerschaft zu wohnen. Den Preis den China bzw. seine Bevölkerung dafür zahlen muss, den Vereinigten Staaten den Ruf, fortschrittlichstes Land der Welt zu sein, abspenstig zu machen, ist jedenfalls hoch und ungleich verteilt. Lässt es sich im globalen Zukunftswettstreit nicht auch als Klassenzweiter angenehm leben?
Für die eine Diskussion der abgeänderten Übersetzungen des Artikels von Friedman in chinesischen Medien siehe CDT.
MaxM - 17. Sep, 11:03
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