Mittwoch, 7. Januar 2009

China in 2009: Vorhersagen und andere Unmöglichkeiten

Im Zuge des Jahreswechsel sind einige China-Beobachter in bester Orakellaune (siehe z.B. die Beiträge auf cn-predictions; Mutant Palm oder von Xinhua selbst), und wagen unterschiedlichste Vorhersagen, was das Jahr 2009 wohl bringen wird. Wie aus der aktuellen chinesischen Einschätzung hervorgeht (siehe oben) erwartet die kommunistische Führung des Landes offenbar ein unruhiges Jahr, d.h. eine deutliche Ausweitung aller möglichen Proteste. Neben den Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise und des Konjunkturabschwungs in den großen Volkswirtschaften, die chinesische Exporte absorbieren, geben vor allem einige der anstehenden Jahrestage Anlass zur Beunruhigung, denn das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens jährt sich zum zehnten Mal und erfolglose tibetische Rebellion liegt fünfzig Jahre zurück.

Einen Vorgeschmack auf (mögliche) Protestaktionen und (mögliche) Reaktionsweisen der Behörden hat die zunächst von hunderten, ausschließlich in China lebenden, Intellektuellen unterzeichnete Charta 08 gegeben. Zwar sorgt sie möglicherweise in den USA und Deutschland (durch die Veröffentlichung einer übersetzen Version in wichtigen Printmedien wie FAZ und ) für mehr Wirbel als in China selbst (siehe hier für eine Zusammenfassung der Reaktionen), doch zeigt die anhaltende Verfolgung und Inhaftierung vieler Unterzeichner, wie ernst die Parteispitze diese unmissverständliche Forderungen nach mehr Rechtsstaatlichkeit, der Achtung von Grundrechten und einer umfassenden Demokratisierung offensichtlich nimmt.

Auch wenn die Charta 08 allein kaum die Kraft entfalten dürfte, die hochgradig segregierte Gesellschaft Chinas unter einem Banner zusammen zu führen (dazu fehlt es ihr u.a. an Patriotismus), so signalisiert sie immerhin das Wiedererwachen einer Intellektuellenschicht, die den Mut aufbringt, sich der herrschenden Partei ohne große Kompromisse entgegen zu stellen. Dass dies, gestützt auf neue Transparenzregeln, die sich die Regierung selbst verordnet hat, inzwischen auch von ansonsten eher unauffälligen Wirtschaftsanwälten unternommen wird, ist ein hoffnungsvolles Zeichen.

Fundamental kann das autoritäre System aber nur dann herausgefordert werden, wenn etwas gelingt, was Pekings Parteistrategen seit 1989 mit allen Mitteln zu verhindern suchen: eine Mobilisierung und Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Gruppen in der Bevölkerung auf nationaler Ebene (vgl. Wasserstrom). Die kleinen und großen Proteste, die fast stündlich teils gewalttätig ausbrechen, bleiben hinsichtlich ihres Ursprungs, ihrer Gründe, ihrer Ausdehnung und medialen Präsentation fast ausschließlich lokal. Allein die grassierende Bereicherung und Ignoranz der Parteikader und patriotische Aufwallungen (nach dem dichotomen Muster "die gegen uns") scheinen momentan alle Provinzen übergreifende Kristallisationspunkte für Protest zu sein.

Das vergangene Jahr führte uns vor Augen wie die chinesische Bevölkerung paradoxerweise zwischen zwei extremen Stimmungen hin und her zu schwanken scheint. Entweder kommt es (vor dem Hintergrund massiver China-Kritik im Ausland oder der medienwirksamen Rettungsaktionen hoher Parteiführer nach dem Erdbeben) zur fast vollständigen Verbrüderung mit der Regierung oder aber zum vollständigen Vertrauensverlust aufgrund der chronischen und Menschenleben kostenden Korruption (wie im Fall des Milchpulverskandals und der kollabierten Schulgebäude).

Wird also 2009 ein Krisenjahr mit weit reichenden Veränderungen werden, wie ihn sich viele Chinesinnen und Chinesen tatsächlich wünschen? Oder aber erleben wir einen regelrechten Rückfall in maoistische Politikmuster? Klar ist jedenfalls, dass weniger Großereignisse bevorstehen, die von einer Interaktion der chinesischen Debatten mit denen im Ausland geprägt sind, wie es im Fall der Tibet-Krise, des Fackellaufs und der Olympischen Spiele sowie des verheerenden Erdbebens der Fall war, und die die Risse in Glaubwürdigkeit und Legitimität des politischen Systems mit einer guten Portion nationalen Gefühlskitt zu füllen schien. Die kollektive Opferhaltung, die die überwiegende Mehrzahl der Chinesen erfasste, ist nicht zuletzt ein sichtbarer Erfolg der groß angelegten "Erziehungskampagne", die Mittels veränderter Schulcurriculae, Filmen, "rotem Tourismus", Geschichtsmuseen und historischer Gedenkstätten seit Beginn der 90er Jahre versucht, Nationalstolz, Solidarität und das Opfernarrativ im Denken und Fühlen der chinesischen Bevölkerung zu verankern.

Stattdessen könnten in diesem Jahr drei andersartige Entwicklungen außerhalb des Landes die Aufmerksamkeit auf sich ziehen: der Beginn der neuen amerikanischen Präsidentschaft, die Folgen der Weltwirtschaftskrise sowie die Klimaverhandlungen in Kopenhagen, die zur Plattform einer globalen (Eliten)Diskussion der wirtschaftlichen Zukunft und Entwicklung des Weltsystems werden wird.

Diese Anlässe dürften weniger Gelegenheit als im Jahr 2008 für (offizielle und andere) Propagandisten bieten, die chinesische Bevölkerung in einer Art Belagerungssolidarität zusammenzuschweißen. Stattdessen führen Massenentlassungen, Firmenschließungen und wirtschaftliche Restrukturierung aber auch die kaum gebremste Umweltverschmutzung bereits jetzt zu Zukunftsängsten und vermehrten Unruhen. Im sechzigsten Jahr der Ausrufung der Volksrepublik durch Mao Zedong könnten so nicht Naturkatastrophen und "finstere" ausländische Mächte, sondern die rapide schrumpfende Volkswirtschaft und ausufernde Korruptionsskandale - mit anderen Worten die Partei selbst und der Misserfolg ihrer (Wirtschafts-)politik - in den Mittelpunkt einer kritischen Debatte rücken. Welche Konsequenzen sich hieraus ergeben ist zu diesem Zeitpunkt in keiner Weise absehbar.

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