Samstag, 21. November 2009

Die Rettung der Welt liegt in China

Der deutsche Regisseur Roland Emmerich ist bekannt dafür, den amerikanischen Apokalypsen-Kult in seinen Katastrophen-Filmen mit grausamer Lebendigkeit zu praktizieren. Auch in seinem neuesten Schöpfungswerk, „2012“, spiegelt sich die Entzeitstimmung der amerikanischen Gesellschaft wider – auch inspiriert vom Tsunami 2004 und der Zerstörung der Stadt New Orleans. Wie immer toben sich die Naturgewalten an den USA am gewaltigsten aus und vor allem die retten dann auch die Welt – und doch ist diesmal alles anders: die Multipolarisierung der Weltordnung ist auch in den Hollywood-Epen angekommen.

Typische Strukturelemente und Mytheme
Die Handlung orientiert sich an der Struktur der typischen amerikanischen Emmerich-Saga und dem Motiv eines biblischen Katastrophen-Mythos: der junge Geologe Adrian Helmsley, der intellektuelle Protagonist, entdeckt 2009, dass nie dagewesene Sonnenerruptionen durch massiv ansteigende Neutrinoschwärme den Erdkern erhitzen. Dadurch destabilisieren sich die tektonischen Platten der Erdkruste im Jahr 2012. Tief aufklaffende Lavagräben, Erdbeben, Vulkanausbrüche verschlingen den Großteil der zivilisierten Welt. Darauf folgen mammutartige Tsunamis, die die Welt nahezu völlig überschwemmen, selbst den Mt. Everest. In aufwendigen effekten rutscht die Stadt Los Angeles nach und nach ins Meer, Wolkenkratzer werden wie Würfel über die Straßen zwischen den Massen von Menschen hinweggeworfen, die nur Staub gleichen. Vorausschauend begannen die G8-Staaten 2009 mit Unterstützung Chinas in der Hochebene von Tibet mächtige Archen zu bauen, um die menschliche Art vor dem Untergang zu bewahren. Rettung ist aber nur der reichen Kaste von Geldadligen beschert, die einen Platz auf einer der vier Archen ergatterten, um die Sintflut zu überleben.

Die Transnationale Herrscherkaste
Der Bau der Archen ist ein hervorragendes Beispiel für gelungene Global Governance und auch für die Transnationalisierung der nationalstaatlichen Welt. Denn die transnationale Herrschaftskaste der politischen Eliten und Milliadäre verschwört sich gegen den Rest der Menschheit und hält den herannahenden Weltuntergang geheim, bis sich der US-Präsident in einer heroischen Märtyreraktion entschließt wenige Stunden vor dem Auseinanderbrechen der Welt die Öffentlichkeit zu alamieren. Die Abscheulichkeit dieser transnationalen Geldkaste verkörpert sich in dem russischen Oligarchen Yuri, der damit prahlt für drei Milliarden Euro einen Platz auf einer der Archen für sich und seine zwei genauso fetten Söhne erschwungen zu haben – seine Freundin, die ihn betrügt, lässt er eiskalt sitzen. Nun will Emmerich ein wenig moralische Kompetenz in seinem Werk walten lassen und konzipiert den Geologen Helmsley, der das ganze entdeckte, als das schlechte Gewissen dieser Herrscherkaste. Hilflos mukiert er sich über den Egoismus und die Abscheulichkeit der Eliten, die die anderen Menschen wissentlich in Unwissenheit ließen. Und als eine der vier Archen unbrauchbar wird, setzt sich dieser Gutmensch gegen die Bösen durch, die die übrig gebliebenen adligen Passagiere und ein Heer chinesischer Wanderarbeiter zurücklassen wollten und lässt sie auf seine eigene Arche. In symbolischer Manier kommt der raffgierige Oligarch Yuri in dieser Hektik zu Tode. Trotz dieser Hingabe bleibt das kapitalistische Kredo des Films: wenn ihr den Weltuntergang überleben wollt, müsst ihr auf Kosten anderer Reich werden – damit hat die USA ihre eigene Apokalypsenlehre entwickelt.

Von der Permeabilität der Gesellschaftsschichten
Dann ist da noch der erfolglose Buchautor Jackson Curtis, der eigentliche Actionheld dieser Happy-End-Tragödie, der über den Atlantis-Untergang schrieb. Während die USA in den Gluten und Fluten versinkt, rettet er, stets von zusammenbrechenden Hochhäusern, Autobahnen und Straßen verfolgt, seine Familie in letzter Sekunde aus dem Chaos. Es handelt sich um eine typische Familie, zwei Kinder, eine Frau, von der er geschieden ist, und der neue Lover der Frau, Gordon Silberman. Der hatte glücklicherweise schon einmal ein paar Flutstunden und fliegt die Familie aus dem Untergangsszenario. Da Jackson zufällig herausbekam wo die Archen gebaut werden, fliegen sie über Umwegen Richtung China, müssen aber im Südchinesischen Meer notwassern. Dann lässt Emmerich seine Geographie-Kenntnisse aufblitzen, denn zufällig trifft die Familie auf einen buddhistisch-tibetischen Mönch, der einen Weg in die Archen kennt. In ein paar Autostunden gelangen sie dann nach Tibet und können wohl gesonnen in den Bauch einer der Archen stehlen. Hier zeigt sich, es ist durchaus möglich in die Gruppe der Ausgewählten zu stoßen – für den Normalbürger wird also doch noch ein wenig Hoffnung genährt.

Zu einer multipolaren Weltordnung
„2012“ verschiebt nicht nur tektonische Platten, sondern auch relative Machtressourcen: die USA können die Welt nicht mehr alleine Retten, sondern sind auf die Hilfe des exklusiven G8-Clubs und China angewiesen. Wie auch beim neuesten China-Besuch des amerikanischen Präsidenten Barack Obama deutlich wurde, hat sich die Perzeption der Machtverteilung in den Medien geändert, denn China, gestärkt aus der Finanzkrise, ist jetzt auf Augenhöhe mit den USA. Natürlich werden in „2012“ alle Entscheidungen des amerikanischen Präsidenten mit einem Kopfnicken von der G8 abgesegnet und die Chinesen spielen in der Handlung selbst keine Rolle. Mit Erstaunen stellen die Amerikaner aber fest, dass nur die fleißigen Chinesen es schaffen konnten, in drei Jahren gewaltige Archen fertigzustellen, denen nur noch der Flugantrieb fehlt, um in der nächsten Staffel von Star Trek als Raumschiffe wiederverwendet zu werden. Übrigens tarnte die chinesische Regierung dieses Vorhaben als ein Staudamm-Projekt und siedelte viele tibetische Dörfler dafür um – offenbar akzeptabel für die transnationale Herrscherkaste. „2012“ verabschiedet sich von der bipolaren Mächtedichotomie des Kalten Krieges und auch von der unipolaren Hegemonie der USA. Hier ist es ein gesunder Multipolarismus, der einen Teil der Menschheit rettet.

Polarregion USA

Emmerich inszeniert die Endzeitängste der amerikanischen Gesellschaft. Wenn Los Angeles in der wankenden Erdkruste verschwindet gleicht das fast ein wenig den amerikanischen Finanzmetropolen, die derzeit in stürzenden Immobilienpreisen, Hypotheken und Wertpapieren versinken. Emmerich geht der Frage nach: wohin geht unsere Gesellschaft nach diesem Tag des Jüngsten Gerichts? Was wird aus unserer Nation, die doch die mächtigste der Welt war? Seine Antwort ist sicherlich eher ernüchternd, denn nachdem sich die tektonischen Platten verschoben haben, liegt der geomagnetische Südpol in den USA – diese Region dürfte als weltpolitisch nach 2012 ein geringere Rolle spielen. Ein Anzeichen für die neue politische Polarität? Nun, der einzige Kontinent, der von der Sintflut verschont bliebt, ist der afrikanische, der sich nicht in kapitalistischen Exzessen ergeben hat. Also rettet Geld doch nicht die Welt? Zumindest ist das ist einmal eine wirksame Entwicklungspolitik der Naturgewalten. Und am südlichen Ende Afrikas ragt nun der neue höchste Berg der Welt auf.

In einem Punkt ist der Film aber mehr als nur ironische Farce, denn das Jahr 2012 könnte de facto entscheidend für das langfristige Überleben der Menschheit sein. Es kommt darauf an, zu welchen Maßnahmen sich die transnationale Herrscherkaste ab 2012 gegen den Klimawandel und die Erderwärmung entschließen kann. Oder sie beginnt vorab schon einmal mit dem Bau einiger Archen...

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